Gesa Maria Drozdzewski
Gesa Maria Drozdzewski:
Meinen Eltern, die beide keine musikalische Ausbildung erhalten hatten, fiel meine
Musikalität bald auf. Ich war ein Kind, das schon sehr früh sprach. Meine ersten Wörter
und Sätze trug ich, mich heftig im Kindersitz des Fahrrads wiegend, singenderweise vor.
So entschied man sich, als ich 4 Jahre alt war, gegen einen Kindergarten und für die
"Musikalische Früherziehung".
Im Alter von 6 Jahren begann dann der Klavierunterricht. Bei einem ersten Vorspiel
nach 3 Monaten fiel einem Geigenlehrer die Begabung auf und er fragte nach, ob das
Kind nicht auch Geige lernen wollte. Oh ja, das wollte ich unbedingt! Der Unterricht
begann und wurde mehr als 10 Jahre fortgesetzt.
Schon nach wenigen Monaten wurde in einem Kinderstreichquartett musiziert, es folgte
Orchesterspiel. Mit 10 Jahren saß ich stolz und begeistert in der ersten Violine des
Jugendsinfonieorchesters, dessen Konzertmeisterin ich später wurde.
Als man mich im Alter von 8 Jahren nach meinem Berufswunsch fragte, war meine
entschiedene Antwort: "Ich weiß nicht, aber auf jeden Fall werde ich immer Musik
machen!"
Tatsächlich weigerte ich mich bis ich ungefähr 16 Jahre alt war, mich für ein Hauptfach
zu entscheiden. Die Geige war mir zu wichtig, um als Nebenfach zu gelten. In diesem
Alter wurde dann klar, dass ich am Klavier keine technischen Begrenzungen erleben
würde. Die Geige trat in ihrer Bedeutung zurück. Das Klavier bot die Möglichkeit, ohne
die Zusammenarbeit mit anderen alles auszudrücken, was an Gefühlen in mir war und
einen Kanal suchte.
Der singende Ton der Geige, die geschulte Achtsamkeit auf die Gestaltung des Tones an
sich und der Melodielinien waren ein wichtiges Element meiner musikalischen
Entwicklung und haben mein Spiel geprägt.
Meine Klavierlehrerin hatte den Eltern verboten, mich Schallplatten hören zu lassen.
Auch Konzerte sollte ich nicht besuchen. Dies sei schädlich für meine musikalische
Entwicklung. Die Stücke, die ich übte, wurden mir niemals vorgespielt: ich war der
Schöpfer dieser Musik. Nur durch mich erklang sie!
Der erste Klavierlehrer, der mich nur kurz unterrichtete, erzählte, dass er Bahnfahrten
zum Notenlesen nutzte. So dachte ich mir, dass man Noten also genau wie Bücher liest.
Ich nahm mir meine Noten in Wartezeiten vor und betrachtete sie, bis die Musik in
meinem Kopf erklang. Es erschien mir ganz selbstverständlich, denn Bücher lesen
konnte schließlich jeder und der Text wurde dabei auch im Kopf lebendig. Warum nicht
jeder so musizierte wie ich, erschien mir unverständlich. Schlimmer noch - die anderen
wollten sich offenbar gar nicht bemühen!
Mit Lob war man sparsam. Ich war sehr stolz, dass meine Lehrer mir so schwierige
Stücke aufgaben. Daran maß ich meinen Erfolg. Schon mit 12 Jahren spielte ich
Beethoven, Sonate op. 81a, "Les Adieux". Mir war klar, dass man das Gefühl des
Abschieds wirklich erfasst haben musste, um dieses Werk zu interpretieren. So
versenkte ich mich in die Vorstellung eines möglichst tragischen Verlustes. Ich stellte
mir vor, meine Mutter würde sterben - Abschied für immer.
Meine Gefühlswelt, meine Gedanken - ich war ein Fremdkörper in der Welt meiner
Mitschüler. Seltsam erwachsen und nicht mit dabei, bei dem, was die anderen bewegte.
Es entstand eine Isolation, verbunden mit tiefen, sehnsuchtsvollen, schmerzlichen
Gefühlen, die wiederum ihren Ausdruck in der Musik fanden.
Als ich mit 16 Jahren erstmals Chopin spielen durfte, war dies eine Offenbarung.
Das war meine Sprache!
Eine unvorstellbare und unvergessliche Freude war es, als ich die Nachricht bekam,
dass ich die Solistin in Schumanns Konzertstück op. 92 sein würde.
17-jährig spielte ich mit großem Orchester vor 1000 Zuhörern!
Zuvor war ich nur wenige Male vor kleinem Publikum aufgetreten. Das Konzert war ein
großer Erfolg und ich war glücklich!
Es folgte eine sehr schwierige Zeit. Meine Ausbildung war eigentlich fast ausschließlich
autodidaktisch verlaufen, ohne dass dies meinen Eltern oder mir damals aufgefallen
wäre. Der Unterricht bei meiner Klavierlehrerin endete und wurde von ihrem Mann,
einem Hochschuldozenten, weitergeführt. Als die Aufnahmeprüfung an der
Musikhochschule mit einer Absage endete, fragte er: "Was sollen die dir denn da auch
beibringen?" Er sah keinen Sinn in der Fortsetzung des Unterrichts und beendete ihn
einfach. Ich war erschüttert.
Nun hatte ich Privatunterricht an einer Musikhochschule. Hier erlebte ich erstmals, dass
ich für mein Spiel gelobt wurde, und zwar in wirklicher Begeisterung. Ich erfuhr, dass
meine Interpretationen ganz anders waren, als die anderer Pianisten. Der Dozent
verabschiedete mich mit den Worten: "Ich bereite meine Konzerte auch alleine vor. Das
kannst du jetzt auch." Wäre mein Vater Dirigent, so wäre es mit der Karriere natürlich
einfacher, aber ich würde sicher einen Weg finden. Er überreichte mir eine Liste "Was
man als Pianist alles mal gespielt haben sollte...". Das war's!
Ich war jetzt 18 Jahre alt und musste nun zunächst einmal mir selbst und dann auch
meiner Umwelt zeigen, dass ich Pianistin war! Ich besuchte Meisterkurse - auch hier
beabsichtigte niemand mich zu unterrichten - man hörte zu. Mir war das nicht
unangenehm, denn ich war sehr entschieden, wie ich mich musikalisch ausdrücken
wollte!
Hierin liegt auch die Natürlichkeit und Ursprünglichkeit meiner Interpretationen
begründet. Ich stehe nicht in der Tradition einer Schule, folge nicht dem Vorbild eines
Lehrers. Ich schöpfe aus der Quelle meiner Emotionen.
Die erste große Liebe kam, ich begann in ein Leben ohne die Eltern einzutauchen.
In den nächsten Jahren verbrachte ich mehr Zeit mit dem Backen von Brot als am
Klavier. Ich hatte wichtige Aufgaben: Heizen mit Kohle, einen Schäferhund (mein erstes
Baby) von der Tragödie seines bisherigen Lebens heilen, Schüler am Klavier
unterrichten, Esperanto lernen, ... . Das Leben war bunt und vielfältig. Es war
aufregend. Esperanto liegt mir besonders am Herzen, weil es, wie die Musik, eine
universale Sprache ist.
Obwohl ich in dieser Zeit nicht viele Auftritte hatte und auch nicht viel übte, war ich mit
mir selbst immer im Reinen: Ich bin Pianistin!